Der Gesetzgeber fordert mehr Bilanz-Expertise in den Kontrollgremien. Dabei sollte jedoch nicht in Vergessenheit geraten, dass moderne Technologien und andere Kompetenzen mindestens genauso wichtig sind.

Es ist eine logische, womöglich zwingende Reaktion auf den letzten Börsenskandal: Die Bundesregierung drängt im Gesetzesentwurf für das „Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz“ (FISG) auf mehr Bilanz-Profis in den Aufsichtsräten. Künftig soll jeweils ein Experte für Rechnungslegung und Abschlussprüfung in den Gremien vertreten sein – bislang reichte eine der beiden Spezies.

Ich halte diese Änderung für sinnvoll, um wieder Vertrauen in den Kapitalmarkt im Allgemeinen und börsennotierte Unternehmen im Besonderen zu schaffen. Schließlich haben die Vorkommnisse eindrucksvoll offenbart, wie wichtig Aufsichtsräte sind, der genau hinsehen (wollen).

Doch Vorsicht: Die Erfahrung zeigt, dass politische Signale oft falsch interpretiert werden. Trotz der neuen Vorgaben sollte jedem klar sein, dass sich Aufsichtsräte nicht als die obersten Wirtschaftsprüfer definieren sollen. Denn das sind sie nicht, und das dürfen sie auch nicht werden.

Aufsichtsratschefs stehen deshalb jetzt vor der Herausforderung, das richtige Maß zu finden. Sie müssen einerseits Experten engagieren und Prüfungsausschüsse einrichten, wenn sie das bisher versäumt haben. Andererseits dürfen sie nicht aus den Augen verlieren, dass Bilanzkontrolle nur eine Facette der Überwachung ist. Mindestens genauso wichtig sind, gerade im Zeitalter der digitalen Transformation, Tech-Expertise, Strategie-Kompetenz, unternehmerisches Denken und Integrität.

 

Neue Experten, bessere Technik

Wie sollen wir das alles unter einen Hut bringen? Diese Frage wäre berechtigt. Und die Antwort lautet: Aufsichtsräte sollten die Regulierung zum Anlass nehmen, (noch) effizienter zu werden. Genau wie die Teams und Abteilungen in den Unternehmen müssen sie Prozesse automatisieren und digitale Tools nutzen, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können.

Spielräume dafür gibt es häufig reichlich: von Software-Programmen für effiziente Zusammenarbei über sichere Boardrooms bis hin zu Nachfolgeplanungen oder für Tochtergesellschaften das Beteiligungsmanagement. Hier können ausgereifte IT-Lösungen gerade bei der Überprüfung der Bilanzkontrolle helfen. Vorsitzende von Aufsichtsräten bzw. Prüfungsausschüssen sollten deshalb nicht allein auf zusätzliche menschliche Expertise bauen, sondern auch prüfen, was der Software-Markt zu bieten hat.

Ich bin überzeugt: Wer entschlossen digitalisiert, gewinnt Zeit fürs Wesentliche – sei es die intensive Analyse kritischer Bilanzpositionen, die Auseinandersetzung mit strategischen Fragen oder der genaue Blick auf die Firmenkultur.

 

Digitale Ethik, unternehmerische Freiheit

Gerade der letztgenannte Aspekt wird meines Erachtens noch zu oft vernachlässigt. Denn Aufsichtsräte sind angesichts der neuen technologischen Möglichkeiten mehr denn je als Hüter der Werte gefragt, für die das Unternehmen steht. So gilt es etwa zu verhindern, dass KI-Anwendungen Menschen diskriminieren oder ausspionieren. Digitale Ethik ist damit aktiver Reputationsschutz – und zugleich eine große Chance, Vertrauen zu schaffen.

Allerdings sollte niemand auf die Idee kommen, bei diesen und anderen Herausforderungen erneut mit gesetzlichen Vorgaben nachzuhelfen. Mindestens ein Wirtschaftsethiker im Aufsichtsrat? Und ein Digital-Experte? Vielleicht noch Human-Resources-Profi, um die Generation Z besser zu verstehen?

Nein, nach dem FISG soll Schluss sein mit kleinteiliger Regulierung. Aufsichtsratschefs brauchen Spielräume, um das jeweils optimale Team zusammenzustellen; weitere „one-size-fits-all“-Vorgaben wären kontraproduktiv.

Sehr wohl diskutieren sollten wir dagegen, ob und wie wir Unabhängigkeit und Berufsethos von Aufsichtsräten stärken können. Im Raum steht beispielsweise der Vorschlag, sie zu einer Art hippokratischen Eid verpflichten. Damit würden wir sie in die Verantwortung nehmen, statt ihnen weitere Fesseln anzulegen. Ich glaube: Das wäre der bessere Weg.


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