Manche Aktionärsschützer kritisieren eingeschränkte Fragerechte auf digitalen Hauptversammlungen – und fordern mehr Partizipation. Neue Technologien bieten dazu große Chancen. Ein Plädoyer für Virtualität.

 

Vorzeitiges Ende der digitalen Hauptversammlung?

In diesen Wochen nähert sich die zweite HV-Saison, die überwiegend digital stattfindet, ihrem Höhepunkt. Und derzeit spricht vieles dafür, dass es die letzte ist. Denn die Impfquoten steigen deutlich – und mit ihnen die Wahrscheinlichkeit, dass die Corona-Sonderregeln für Hauptversammlungen in diesem Jahr auslaufen.

Aber wäre das wirklich ein Grund zum Aufatmen? Müssen wir unbedingt zurück zum Status Quo? Aktionärsschützer scheinen das überwiegend so zu sehen. Die meisten Unternehmen hätten Fragerechte stark eingeschränkt und damit Partizipation erschwert, lautet ihr Hauptkritikpunkt. Zudem seien viele Treffen sterbenslangweilig gewesen; man habe sich gefühlt wie in einem schlechten Film.

Das ist nicht von der Hand zu weisen. Aber zur Wahrheit gehört auch: Präsenz-Veranstaltungen waren teilweise nicht viel unterhaltsamer. Denn die Redebeiträge, heute bisweilen als Partizipation oder Aktionärsdemokratie verklärt, waren häufig langatmig oder und dienten vor allem der Selbstdarstellung von Berufsaktionären und institutionellen Investoren.

Für eine Glorifizierung der Vergangenheit besteht damit kein Anlass. Und ein unbefangener Blick zeigt, dass virtuelle Hauptversammlungen erhebliche Vorteile bieten – allen voran die Tatsache, dass deutlich mehr Aktionäre teilnehmen als früher, zumindest bei den Dax-Unternehmen.

 

Spannender als jede Präsenzveranstaltung

Das ist eine erfreuliche Entwicklung, deren Bedeutung niemand unterschätzen sollte. Denn je mehr Aktionäre vertreten sind, desto schwieriger wird es für aggressive Investoren, ihre Vorstellungen durchzusetzen – und eine Aktiengesellschaft zum Spielball von Partikularinteressen zu machen.

Deshalb hoffe ich, dass der Gesetzgeber auch in Zukunft digitale Formate erlaubt – und dass Unternehmen diese Option dann auch nutzen. Zugleich müssen sie jedoch die Kritik von Aktionärsschützern aufgreifen und die virtuellen Hauptversammlungen lebendiger, multimedialer und interaktiver gestalten.

Die gute Nachricht in diesem Zusammenhang ist: Digitale Tools bieten die Chance, sie deutlich interessanter zu machen, als es Präsenz-Treffen jemals waren. Ob zugeschaltete Fragesteller, spontane Umfragen oder moderierte Chats – die Bandbreite der technischen Möglichkeiten ist groß. Und selbst die digitalen Vorreiter unter Deutschlands Aktiengesellschaften haben sie bisher nicht annähernd ausgeschöpft.

Das liegt auch daran, dass interne Skeptiker kreative Ideen gerne mit dem Verweis auf Sicherheitsrisiken abbügeln. Digitale Interaktion sei eine Steilvorlage für Hacker und Anfechtungskläger, schlimmstenfalls drohe die Manipulation von Abstimmungen, heißt es dann. Maximale Sicherheit biete nur ein Live-Stream mit vorher eingereichten Fragen.

 

Keine Angst vor räuberischen Aktionären

Mit Verlaub: Das ist mir zu einfach. Denn moderne Tools und Technologien ermöglichen Interaktion, ohne Abstriche bei der IT-Sicherheit oder Benutzerfreundlichkeit zu machen. Und auch der beliebte Verweis auf offene rechtliche Fragen überzeugt mich nicht. Denn das Gesetz lässt großen Spielraum bei der Ausgestaltung virtueller Aktionärstreffen.

Zudem haben die einst gefürchteten „räuberischen Aktionäre“ nach diversen Gesetzesverschärfungen und Grundsatzurzeilen ihren Schrecken verloren. Und es gibt bislang keinerlei Anzeichen, dass sie versuchen, digitale Formate auf breiter Front als neues Einfallstor und zur Wiederbelebung ihres Geschäftsmodells zu nutzen.

Entscheider in den Unternehmen, allen voran die Aufsichtsräte, sind deshalb aufgerufen, die Bedenkenträger in den eigenen Reihen auszubremsen. Stattdessen sollten sie darauf drängen, moderne Tools und Features einzusetzen – und auch darüber hinaus mehr Schwung in die Veranstaltung zu bringen. Was spricht beispielsweise gegen professionelle Moderationen und virtuelle Podiumsdiskussionen?

Sicher: In erster Linie geht’s um Information und Interaktion. Aber ein wenig Inszenierung darf auch dabei sein, solange die Hauptversammlung nicht zur Talkshow verkommt.


Board,  Digitalisierung,  Good Governance


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